Meine Berufung?

 „Wenn du diesen Mann heiratest, dann musst du als seine Frau nicht nur seine Berufung akzeptieren, sondern deine eigene Berufung in Bezug auf seine entdecken!“ Dieser Satz stand 1978 ganz im Sinne des damalig herrschenden Pastorenbildes. Doch welche Bedeutung konnte er für mich haben?

Das Wort „Berufung“ kam auch in anderen Gesprächen immer wieder ins Spiel. Jemand, der überlegt, ein Pastor zu werden, sollte dafür eine Berufung haben - soviel schien klar zu sein. Wie um alles in der Welt findet jemand heraus, ob er für eine Sache eine Berufung hat?

Was ist überhaupt eine Berufung? Definiert wird sie für den religiösen Bereich als das Verspüren eines „inneren Rufes“ zu einer bestimmten Lebensaufgabe (Wikipedia)

Wer Pastor wird oder werden möchte, hat sicher gerade im frommen, evangelikalen Umfeld auch immer eine eigene Berufungsgeschichte. Angefangen von einem persönlichen Reden Gottes über Ermutigungen durch kompetente Leiter ist jede Geschichte anders. Für den angehenden Pastor hat es also meistens einen Prozess gegeben, durch den er in seine Berufung hinein gefunden hat.

Doch was ist mit seiner Frau? Muss sie tatsächlich eine Berufung für den Beruf ihres Mannes erfahren, wie es mir relativ deutlich vermittelt worden war? Inwieweit ist sie überhaupt in den Prozess seiner Berufung mit einbezogen worden? Welche Chancen hatte sie, sich mit der gemeinsamen Zukunft nicht nur als Ehefrau, sondern auch als Pastorenfrau auseinander zu setzen?

Wenn noch vor 50 Jahren relativ klar war, dass die Frau eines Pastors sich seinem Job unterzuordnen hatte, dass damit auch ganz bestimmte Aufgaben in der Gemeinde verbunden waren wie Kinderdienste, Frauenkreise oder auch die Oberherrschaft über den Küchen- und Catering - Bereich in der Gemeinde, dann war damit auch gleichzeitig klar, dass sie keinem eigenen bezahlten Job nachgehen konnte, sondern seine Berufung auch ihre Berufung war. Sie war damit neben ihrem Mann die unbezahlte zweite Hauptangestellte. Ihr Schicksal hatte Berufung zu sein.

Im Laufe der Jahre veränderte sich das Bild. Immer mehr Frauen wollten nach ihrer Ausbildung auch in ihrem Job arbeiten und damit Geld verdienen. Diese gesellschaftliche Veränderung machte auch vor den Frauen von freikirchlichen Pastoren nicht Halt.

Und damit begann eine Art Tauziehen in vielen Gemeinden. Zunächst ernteten Frauen erstauntes Unverständnis: Wie jetzt, sie will neben ihrer Familie und Gemeinde auch noch arbeiten gehen? Wie will sie das denn schaffen?

Doch der Plan war ja, eben nicht voll in die Gemeindearbeit einzusteigen, sondern die eigene Berufung in einem eigenen Job zu leben. Dadurch spielte – wie für viele andere Gemeindemitglieder ja auch – das Ehrenamt in der Gemeinde nur noch eine kleine untergeordnete Rolle. Genau diese Entwicklung wurde zunächst nicht gern gesehen. Hatte doch bis dahin jede Pastorenfrau ihren Bereich auszufüllen, zumindest doch aber präsent zu sein! Anspruch und Wirklichkeit klafften immer mehr auseinander.

Inzwischen ist sicher eine weitgehende Akzeptanz vorhanden, wenn auch die Frau des Pastors einem bezahlten Job außerhalb der Gemeinde nach geht und dementsprechend weniger Zeit für Gemeinde und Gemeindeangelegenheiten hat.

Dennoch frage ich mich, warum mittlerweile immer mehr freikirchliche Pastoren an ihrem Amt scheitern, ausbrennen oder sogar ihre Ehe zerbricht. Das kann natürlich viele Gründe haben. Beobachten lässt sich aber auch, dass innerhalb von Pastorenehen heute oft die Ansprüche aneinander höher sind als die gegenseitige Akzeptanz und Unterstützung. Und damit meine ich sowohl die Unterstützung der Pastorenfrau für den Job ihres Mannes wie auch seine Unterstützung für ihre eigene Berufung, ihren Job oder die Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten.

Gemeinden bzw. Gemeindeleitungen schauen sich nach wie vor bei der Einstellung eines Pastors auch immer genau seine Frau an: Wie wirkt sie in dem Ehesetting, welches ist ihr Part in der Beziehung, welche Begabungen und Fähigkeiten, aber auch Vorlieben bringt sie mit, was und wie viel ist sie bereit, ins Gemeindeleben zu investieren? Immer noch gilt: Ein Pastor kann nur so gut sein oder werden, wie seine Ehefrau ihn in seinem Amt bestätigt.           Wird sie in der Lage sein, seine Arbeit zu schätzen, ihn zu ermutigen und eventuell auch den Rücken frei zu halten?

Man kann es Pastorenfrauen auf der einen Seite nicht verübeln, wenn sie sich an dieser Stelle bereits erschreckt zurückhalten und erstmal abwarten, was das denn alles für sie bedeutet. Eine gerade erst frisch gekürte Pastorenfrau (so nenne ich Frauen, deren Mann frisch zum Pastor ordiniert worden ist) sagte einmal zu mir: „Ich habe gar keine Ahnung, was das gerade alles für mich bedeutet. Ich stehe mit dabei, werde neben meinem Mann (ein)gesegnet – was heißt das denn jetzt? Ich würde mich am liebsten unsichtbar machen!“

Auf der anderen Seite fehlt oft eine angemessene Begleitung oder Einführung gerade junger Pastorenfrauen, die auch mit einem gewissen Idealismus mit ihrem Mann in eine Pastorenstelle hinein gehen und ganz positiv davon ausgehen, dass das schon werden wird. Mehr gemeinsame Vorgespräche könnten hier eine Hilfe sein. Vorbereitungskurse für angehende Pastoren gibt es ja bereits in verschiedenen Freikirchen, doch werden auch die dazu gehörigen Ehefrauen dabei berücksichtigt?

Hat diese neue Position ab sofort etwas Schicksalhaftes, Unabwendbares?  Oder braucht sie tatsächlich für den Job ihres Mannes eine eigene Berufung? Wie müsste diese aussehen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht im Folgenden um einen erweiterten oder auch zweiten Berufungsbegriff, der helfen soll zu sortieren.

Das eine ist die Berufung einer Frau zu einer eigenen Lebensaufgabe, die sie vielleicht auch erst im Laufe ihres Lebens entdeckt oder schon seit vielen Jahren als Lebenstraum in sich trägt. Dabei handelt es sich meist um eine Lebensaufgabe, die eng mit den eigenen Fähigkeiten, Vorlieben und Begabungen zusammen hängt. Dafür lernt frau, hat vielleicht studiert und sich weitergebildet. Daran wird sie arbeiten, solange sie in dieser Aufgabe leben will.

Sie wird irgendwie dafür sorgen, dass sie – manchmal auch erst nach einer Kinderphase – diese Lebensaufgabe verfolgt und sich in ihr bewegt.

Die erweiterte Berufung betrifft die Partnerschaft, die Ehe. Und diese Berufung hat etwas mit der unterschiedlichen Bestimmung zu tun, die Gott den Menschen mitgegeben hat.

Meine These ist: Die Berufung einer Frau allgemein – und das gilt dann auch für die Pastorenfrau – besteht in erster Linie darin, die Ergänzung ihres Mannes zu sein bzw. zu werden.

Das hört sich verstaubt an. Wenn ich aber nach biblischen Richtlinien leben will und mir wünsche, dass mein Leben und damit auch meine Ehe gelingt, bin ich zurückgeworfen auf das, was Gott sich für mich, die Frau, gedacht hat.

Ich habe mich lange mit diesen Gedanken beschäftigt. Immer wieder habe ich mich gefragt, was Gott sich wohl dabei gedacht, hat, zwei so unterschiedliche Wesen wie Mann und Frau zu schaffen; zwei Menschen, die so wenig zueinander passen. Dahinter kann nur eine sich ergänzende Absicht stecken. Doch auch dieser Begriff war lange Zeit für mich eher negativ besetzt: Was soll ich denn ergänzen? Und wo muss ich ergänzt werden?

Bedeutet es, dass wir einander unsere Mängellisten und emotionalen Löcher auffüllen?

Oder hat Gott etwas anderes gemeint? Auf der Suche nach der Bestimmung der Frau bin ich ganz vorne in der Bibel fündig geworden.

Alles hat begonnen, als Gott der Herr beschloss, den Mann nicht allein bleiben zu lassen. Die Schöpfungsgeschichte berichtet, dass der Mann sich nach seiner Erschaffung alles ansah, was um ihn herum war, aber nichts fand, was zu ihm passte und ihm eine Hilfe sein könnte. Dort steht über den ersten Menschen: Er gab allem Vieh, den Vögeln und den wilden Tieren Namen. Doch er fand niemanden unter ihnen, der zu ihm passte. (1. Mose 2, 20; NLB)

Darauf hin verpasst Gott dem ersten Menschen eine Narkose und baut aus dessen Rippe einen weiblichen Menschen. Schon allein die verschiedenen Herstellungsarten und Materialien, die Gott für Mann (Erde) und Frau (Knochen, Rippe) benutzt, machen deutlich, dass er zwei sehr verschiedene Personen erschaffen hat. Doch seine Schöpfung ist gelungen.

Denn zwei Verse weiter springt Adam fröhlich durch den Garten Eden, weil es endlich jemanden gibt, die zu ihm passt.

Das Wort, das hier im Urtext verwendet wird und weitgehend mit „Hilfe“ oder auch „Gehilfin“ übersetzt wird, ist ein Wort, das im AT für Gott selber verwendet wird.  Dafür gibt es eine ganze Reihe Bibelstellen, von denen ich hier nur eine herausgreife.

In Psalm 46,2 steht: Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen.

Die Neues-Leben-Bibel schreibt etwas eingängiger: Gott ist unsre Zuflucht und unsre Stärke, der uns in Zeiten der Not hilft.

Das hierfür verwendete hebräische Wort ezer wird auch im Urtext über die Frau geschrieben: Sie soll dem Mann eine „Hilfe“ , ezer, sein.

Damit gibt Gott der Frau eine hohe Berufung: Die der „Hilfe für den Mann“.

Das sollten wir nicht verwechseln mit „über ihn bestimmen, ihm vorschreiben, was er tun soll, ihn pausenlos korrigieren“ oder gar seine Haushälterin (Gehilfin) zu sein, sondern ein Verständnis für die Art von Hilfe bekommen, die auch Gott dem Menschen geben will: ihn in seiner Ganzheitlichkeit lieben und achten, Wertschätzung zeigen, liebevolle Korrektur geben, für ihn eintreten, ihm immer wieder vergeben und für ihn beten.

Einer Frau, die versteht, dass zunächst einmal Gott derjenige ist, der all ihren eigenen Mangel ausfüllt, wird es leichter fallen, aus diesem inneren Schatz zu schöpfen und an ihren Mann nicht länger Forderungen zu stellen, sondern seine Stärken schätzen und anerkennen, ihn dafür loben und vor allem auch vor anderen Personen gut über ihn reden.

Dienste in der Gemeinde zu tun oder zu lassen ist das eine, doch dem Pastor der Gemeinde zur Hilfe, zu ezer, zu werden das andere und damit eine besondere Berufung, die auf jeder Pastorenfrau liegt. Denn wer ist näher dran als seine Frau, wer kennt besser seine Schwächen und Fehler, seine eigenen Versagensängste, über die er nicht spricht, seine Selbstzweifel und das dumme Gefühl, nicht in der Lage zu sein, die nächste Predigt zu halten als seine Frau! Hier zur Hilfe zu werden und nicht zum Stolperstein ist eine große Herausforderung.

Wer sie annimmt, wird sich über die Früchte freuen, die diesem Einsatz folgen!

Meine eigene Geschichte hat mich genau das erleben lassen. Mit viel Optimismus und Freude auf einen Platz in einer Gemeinde als Pastorenehepaar hatte es begonnen.

Die Realität holte mich dann aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, so dass ich, sicher völlig normal, auf den damit verbundenen Alltagsstress reagierte.

Doch meine Art, mit den auftretenden Alltagsproblemen umzugehen, und das in der Verquickung meines Mannes mit der Gemeinde, die zeitweise mein Feinbild war, führte zu gar nichts.

Ich erinnere mich, dass ich oft abends, nachdem ich die damals noch kleinen Kinder endlich im Bett hatte, einfach nur da saß, die Zeit mit Fernsehserien totschlug und immer wieder auf die Uhr gesehen habe. Wann würde er endlich nach Hause kommen? Und wenn er dann endlich kam (nach einem Seminar, einer Bibelstunde, einem Hauskreis, einem Gebetsabend, einem Leitungstreffen...), dann überschüttete ich ihn mit Vorwürfen, warum er als Leiter denn solche Treffen nicht eher beenden könnte, um zu mir nach hause zu kommen. Das hatte zur Folge, dass mein Mann manchmal schon fast mit eingezogenem Kopf durch die Tür kam, weil ihm klar war, dass die allabendliche Schimpfkanonade unweigerlich kommen würde. Er rechtfertigte sich nie – was mich nur wütender machte.

Mir fiel damals irgendwann ein Buch zu einem Ehethema in die Hände, das genau diese Problematik behandelte. Und erstmalig erkannte ich, dass ich mich in einer Sackgasse befand. Denn was änderten meine Vorwürfe, die mich zusehends unzufrieden machten und ins Selbstmitleid trieben? Das tat weder unserer Ehe noch meinem Denken über die neue Gemeinde gut. Und so machte ich mich auf die Suche nach einer Lösung.

Diese Lösung bestand aus vielen, vielen einzelnen Schritten und Erkenntnissen, die ich dann begann umzusetzen. Dazu gehörte unter anderem, die Bestimmung Gottes für mich zu entdecken und zu verstehen, was es bedeutet, meinem Mann, dem Pastor, zur Hilfe zu werden – und nicht zum Stolperstein! Ich habe in den nun schon 40 Jahren unserer Ehe, von denen rund 35 Jahre vom Pastorendasein geprägt waren, erlebt, wie befreiend es für mich ist, um meine Bestimmung und auch Verantwortung zu wissen, die ich in erster Linie als Ehefrau und in zweiter Linie an der Seite eines Pastors habe.

Das bedeutete für mich konkret, ihn nicht länger für meine Befindlichkeiten verantwortlich zu machen oder einzufordern, dass er mich aus meinen Trübseligkeiten zu retten hätte. Auch nicht, in ihm den Schuldigen zu suchen, wenn ich mit mir selber nicht klar kam. Es bedeutete auch, zu lernen, ihm nicht immer wieder vorzuhalten, was er alles verkehrt macht; ihm nicht länger vorzuhalten, dass er sich augenscheinlich um andere Leute mehr kümmert als um mich; ihm nicht mehr das Leben schwer zu machen mit Anklagen und Anschuldigungen, die von meiner heutigen Sicht aus reichlich undifferenziert waren.

Sondern es ging für mich darum, zu lernen, meine mir von Gott gegebene Bestimmung als Berufung zu entdecken und leben zu lernen: nämlich meinem Mann, dem Pastor der Ortsgemeinde, „zur Hilfe zu werden“durch Wertschätzung, Achtung und Vergebung – und durch Gebet.

Es geht nicht darum, als Frau auf der Strecke zu bleiben, zurückzustecken und nur zweite Garnitur zu sein. Im Gegenteil: Wenn wir Frauen unsere Bestimmung leben, wenn wir Gottes Berufung für uns annehmen, dann erfahren wir den Reichtum, der in Gottes Liebe für uns liegt. Und wir erleben ein Getragen werden, das nicht aus uns selber kommt. Das gilt übrigens auch für jede Pastorenfrau, die außerdem auch noch einem bezahlten Job nachgeht. Denn Gottes Berufung für mich als Frau für meinen Mann ist eine ganz eigene. Dass es oft ein langer Weg dahin ist, ist unumstritten. Doch es lohnt sich.

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